„Zeitloser Brückenschlag. Keine Effekte führen manchmal also doch zum größten Effekt.“

    Die jungen Zuschauer zeigten sich den inklusive Pause zweieinhalb Stunden dauernden Abend über stets aufmerksam und am Schluss anhaltend begeistert.

    Lars von Triers „Dogville“ werden die jungen Besucher, die am Samstagabend zur Premiere von Erich Kästners „Pünktchen und Anton“ ins Burgtheater-Kasino gekommen sind, wohl nicht kennen; Wohnungs-Grundrisse wahrscheinlich ebenso wenig. Egal. Fest steht: In dieser Inszenierung von Cornelia Rainer ist Fantasie gefragt. Eine erfreuliche Antithese zum gerne mit Ausstattung überladenen Kindertheater.

    Nein, das hier ist keine „Schneekönigin“, wie sie Annette Raffalt im Vorjahr mit viel Pomp im nahen Akademietheater auf die Bühne geklotzt hat. Die großbürgerliche Wohnung, in der Pünktchen mit ihren lieblosen und gehetzten Eltern lebt, ist mit weißem Klebeband auf dem schwarzen Bühnenboden skizziert, die Küche ist mit einem Kühlschrank, das Wohnzimmer mit einem Esstisch und das Kinderzimmer mit einem Bett mit provokant darüber stehendem Flatscreen angedeutet. Und auch die vor dem elterlichen Haus liegende Straße heißt einfach „Straße“. Als Kulisse dient die nackte Kasino-Wand.

    Die 1982 in Lienz geborene Regisseurin hat ihrer Bühnenfassung des großen Kinderbuchklassikers aus dem Jahr 1931 ein behutsames Facelift verpasst, ohne das Setting zwanghaft in die Gegenwart zu hieven. Zwar nutzen Anton und sein Freund Klepperbein einmal das Smartphone, um die Telefonnummer von Pünktchens Vater herauszufinden, sie betteln um Euros und ärgern sich, wenn sie nur 50 Cent bekommen, das war es dann aber schon auch an Bezügen zum Jetzt. Der Rest ist ohnehin zeitlos geblieben: Den Reichen geht‘s gut, den Armen und Kranken weniger. Kinder sind von Natur aus „gut“ und schlagen arglos Brücken zwischen den sozialen Schichten (zumindest idealerweise).

    Und so hält das von seinem Kindermädchen Fräulein Andacht vernachlässigte Pünktchen zu seinem Freund Anton, der für seine kranke Mutter sorgen muss und auf der Straße versucht, Geld mit dem Verkauf von gebrauchten Schuhen und Schnürsenkeln zu verdienen. Und da Pünktchens Eltern sowieso keine Zeit haben, ihrer Tochter Gutenachtgeschichten vorzulesen oder gar mir ihr reiten zu gehen, stopft sie Reitutensilien, Bücher und teure Marken-Klamotten in einen Sack und versucht, das Zeug auf der Straße loszuwerden.

    Zusammengehalten wird die geraffte Handlung von der Figur des Schriftstellers, der in der Mitte des Grundrisses über einen Schreibtisch samt Schreibmaschine verfügt und nicht nur zu Beginn in die Handlung einführt, sondern auch mit den Protagonisten in direkten Meta-Dialog tritt. Martin Schwab gibt den warmherzigen, scheinbar allwissenden Herrn mit Gutmütigkeit und einem Hang zur Schusseligkeit. Schwab ist es auch, der in zahlreiche Nebenrollen schlüpft und vom Rendezvous der Haushälterin Berta bis zum Polizisten tapfer einspringt.

    Tatsächlich einspringen musste Christina Cervenka für die vor zwei Tagen erkrankte Sylvie Rohrer, die als Pünktchens Mutter vorgesehen war, wie Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann eingangs erläuterte. Cervenka gibt die unnahbare, von gesellschaftlichen Verpflichtungen gehetzte Mutter jedoch trotz der Kurzfristigkeit überzeugend, sodass ihr Bühnenehemann Dirk Nocker es gar nicht so leicht hat, den lieblosen Patriarchen voll auszuspielen.

    Das Gegenteil eines Kindermädchens, wie man es sich landläufig vorstellt, ist Adina Vetter als Fräulein Andacht, die der Mutter in Desinteresse am Kind wenig nachsteht. Stattdessen schleppt sie die Kleine auf die Straße, um sich mit ihrem zwielichtigen Freund Robert (Robert Reinagl) zu amüsieren, während Pünktchen mit Anton um die Häuser zieht. Adriana Gerstner und Florian Klingler geben an diesem Abend ein selbstbewusstes, spielfreudiges junges Paar ab – auch wenn man ihnen die Klassenunterschiede nicht ganz abnimmt.

    Die nicht nur dem Bühnenbild (Sarah Haas) geschuldete düstere Atmosphäre verstärkt Rainer mit dem Einsatz eines Jugendorchesters, das immer wieder auch ins Spiel mit einbezogen wird. Die jungen Musiker, die u.a. mit einem Cello, einem Fagott und einer Trompete auftreten, fügen sich mit ihrer soliden musikalischen Leistung in das rundum überzeugende Ensemble. Trotz der großen Menge an Text und des dringenden Appells an die Fantasie blieben die jungen Zuschauer (ab sieben Jahren) den inklusive Pause zweieinhalb Stunden dauernden Abend über stets aufmerksam und zeigten sich am Schluss anhaltend begeistert. Keine Effekte führen manchmal also doch zum größten Effekt.